Archive for the 'Piraten' Category

Wir haben alle gelacht

2011-10-18

(Das trojanische Oktoberfest, Teil 2)

Wir haben alle gelacht, aber jetzt ist auch mal wieder gut. Der Staatstrojaner ist mittlerweile aus den Schlagzeilen verschwunden. Da ihn inzwischen alle Virenscanner erkennen dürften, muss DigiTask, oder ein anderes Unternehmen, wohl einen neuen schreiben. Vermutlich profitieren die Programmierer auch von der Gratis-Qualitätssicherung des CCC und merzen die übelsten Schwachstellen aus.

Legal, illegal, scheißegal

Also alles bestens, Demokratie funktioniert, und selbst unsere Überwacher lernen aus ihren Fehlern? Ja, Pfeifendeckel. Denn der wirkliche Skandal ist ja nicht einmal, dass 13 Millionen Euro Steuergelder für eine geradezu peinlich schlechte Software ausgegeben wurden. Sondern, dass diese Software zu 90 % genau das tut, was das Bundesverfassungsgericht explizit verboten hat. Dass ihr Einsatz unsere Grundrechte aushebelt — und Grundrechte sind nicht verhandelbar. (Und sie gelten für alle, nicht nur für die, die „nichts zu verbergen“ haben.) Und dass Bundes- und Landesinnenministerien und -kriminalämter offenbar wild entschlossen sind, diese Grundrechte weiter gepflegt zu ignorieren. Flächendeckend.

Weil, die kriegen ja nicht die Gesetze, die sie gern hätten, um das Grundgesetz weiter zu durchlöchern. Oder, um Pofalla zu zitieren, man solle sie doch mit so einer Scheiße in Ruhe lassen.

Öffentliches Interesse

Die Piratenpartei Bayern hat jetzt Strafanzeige gegen den bayrischen Innenminister Herrmann, LKA-Präsident Dathe und Konsorten erstattet. Wenn Politiker aktiv gegen unsere verfassungsmäßigen Rechte vorgehen, ist das ein Antragsdelikt — das heißt, die Staatsanwaltschaft ermittelt nur, wenn man ihr auf die Füße tritt. Und dann auch nur, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt — sofern nicht der Geschädigte selbst klagt (was er vermutlich aus guten Gründen nicht tun wird).

Ob auch Politiker sich an die Menschenrechte zu halten haben, ist eine Frage, die durchaus öffentliches Interesse verdient. Ich bin mal gespannt, ob die Staatsanwaltschaft — die ja weisungsgebunden und per Definition eine politische Behörde ist — das auch so sieht.

Dem lieben Gott sein Personal

2009-09-12

Der liebe Gott [1], so hat man mir als Kind erzählt, sieht alles. Dazu braucht er weder Video-Überwachung noch Bundes-Trojaner. Seinem Personal dagegen scheint die Privatsphäre wichtiger zu sein. Meint jedenfalls Ralf Bendrath auf netzpolitik.org:

Wie wir mittlerweile seit drei Jahren wissen, ist Petrus Datenschützer. Oder wie Markus auch immer sagt: Irgendein Hacker hat da ein Script gebaut, das bei unseren Demos die Regenwolken vertreibt.

Das Wetter

Kurz nachgeprüft auf wetter.com: Zur Freiheit-statt-Angst-Demo heute (Sa. 2009-09-12 um 15:00 Uhr, ab Potsdamer Platz) wird es zwar wolkig und um 19 °C warm sein, dafür liegt das Regenrisiko gerade mal um die 20 %.

Dieses Risiko nimmt man doch gern auf sich.

Zumal … hatte ich mal geschrieben, „dass Demos wenig bewirken“? Freilich. Meistens. Es gibt allerdings auch Demonstrationen, die Zeichen setzen. Wie die am 22. Oktober 1983 im Bonner Hofgarten: Zwischen 250.000 und 500.000 Menschen demonstrierten damals gegen den NATO-Doppelbeschluss, deutschlandweit über eine Million. Zwar verhinderte sie weder den NATO-Doppelbeschluss noch das erneute atomare Wettrüsten der 80er Jahre, aber sie etablierte die Friedensbewegung endgültig als politische Kraft in Deutschland. Vermutlich wäre ohne sie Rot-Grün niemals zu Stande gekommen, jedenfalls nicht schon 1998. (Dass ausgerechnet Rot-Grün dann den ersten Militäreinsatz bundesdeutscher Truppen beschloss, beweist wieder, welch kruden Humor der Weltgeist öfters mal zeigt.)

Kritische Masse

Eine halbe Million Teilnehmer wird die Freiheit-statt-Angst-Demonstration wahrscheinlich nicht versammeln. 100.000 ist realistischer. Das wäre, nur auf die Berliner Gesamtbevölkerung gerechnet, nicht einmal besonders viel: Jeder 30. etwa. Aber diese 100.000 bilden bereits eine kritische Masse, die sich von den Medien jetzt nicht mehr ignorieren lässt (wie noch Ende 2007 bei den Aktionen gegen die Vorratsdatenspeicherung). Es wäre nicht der Startschuss für eine lang überfällige Bürgerrechtsbewegung – die gibt es bereits, seit Jahren, als mehr oder weniger lockerer Verbund verschiedener Organisationen im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, als Partei in den Piraten. Aber es wäre – es wird – der Moment, in dem diese Bewegung für alle sichtbar wird, in dem sie zeigt: Wir sind zu viele, um uns noch lächerlich zu machen, kleinreden, kriminalisieren zu lassen. Man kommt an uns nicht mehr vorbei. Die Themen, die Positionen, für die wir stehen, sind zu wichtig geworden, als dass sich die etablierten Mächte noch mit Worthülsen daran vorbei mogeln könnten.

Manchen, bei aller fraglichen Kompetenz in der Sache, dämmert das bereits. Ministerin Zypries zum Beispiel, die sich ein ganzes Interview lang in der taz fast ausschließlich mit der Piratenpartei beschäftigt. Dass sie kein gutes Haar an der politischen Konkurrenz lässt – geschenkt, es ist Wahlkampf. Dass sie freilich offenbar auch nicht einmal in das Programm der Piraten geschaut hat – könnte es daran liegen, dass sie dazu einen Browser bedienen müsste?

[1] Welche Geschmacksrichtung man für seinen Gott bevorzugt, überlasse ich als bekennender Agnostiker natürlich jedem (jeder) selbst. Die Kirche des fliegenden Spaghettimonsters zeichnet sich gegenüber allen anderen Glaubensgemeinschaften der Religionsgeschichte freilich dadurch aus, dass sie als einzige eine Lösung für das drängende Problem der Erderwärmung anbietet. Welche? Das ist nicht schwer zu … Pi raten.

Die Antwort auf den 11. September

2009-09-11

Wir saßen zusammen im Konferenzraum, alle Entwickler und Berater der Software-Firma, in der ich damals arbeitete, und legten den Rahmen fest für die neue Version unseres Produkts, das nicht alles anders, aber vieles besser machen sollte. Während einer kurzen Pause ging ich rüber ins Büro zu einer guten Freundin, die damals im gleichen Unternehmen arbeitete. Sie schaute auf den Bildschirm und sagte mir, in New York sei ein Flugzeug in eines der Hochhäuser geflogen. Ich dachte zunächst an einen verwirrten oder selbstmörderischen Sportflieger.

Dann sah ich, was passiert war.

Dann war das Internet weg.

Und dann schraubte sich diese Zeile von REM in meinen Kopf:

This is the end of the world as we know it.

Wir arbeiteten weiter, trotzdem. Aber die Zeile blieb stehen, noch tagelang, wie eine Neonreklame, in die man zu lange geschaut hat, wenn man dann die Augen schließt.

Dann kamen die Bilder, abends in den Nachrichten, von den Menschen, die sich in Panik aus den obersten Stockwerken gestürzt hatten und Hunderte Meter tiefer auf dem Asphalt aufschlugen, wie nasse Säcke. Manhattan, nachdem die Türme zusammen gebrochen waren: Es sah aus wie nach einem Atomschlag. Und immer wieder die Videos von den beiden 767, wie sie sich in die Türme bohrten und dann explodierten.

Dann die Angst vor einem Weltkrieg. Die Angst vor weiteren Anschlägen – in jeder großen Stadt, weltweit; ich sah die Menschen in den Großstädten nur noch als „weiche Ziele“. Die „uneingeschränkte Solidarität“ Schröders. Die permanenten Durchsagen, auf herumstehende Gepäckstücke zu achten. Stundenlange Schlangen vor den Check-ins am Flughafen.

Und langsam wurde all das zur Normalität.

Acht Jahre her heute. Ich bin sicher, die meisten erinnern sich noch genau daran, was sie am 11. September 2001 getan, gedacht, gefühlt haben. Es gibt ein Wiki, das unter anderem Erlebnisberichte sammelt – auch von Menschen (wie mir), die weit weg waren vom Geschehen.

Wie hat sich für uns die Welt verändert? Statt selbst einen langen Text zu schreiben, empfehle ich den Artikel „Freiheit statt Terrorismus“ im Blog „Politicool“. Aaron Koenig, Bundesvorstand der Piraten, schreibt dort:

[D]iese Anschläge werden von Regierungen in den USA und Europa als Vorwand missbraucht, um die Freiheitsrechte der Bürger immer weiter einzuschränken. […]

Politiker, die unsere Freiheitsrechte für eine angebliche Sicherheit opfern, mögen lautere Absichten haben – doch tatsächlich spielen sie den Terroristen in die Hände. Die Täter des 11. Septembers hassen die Freiheit und die Demokratie. Sie hassen die Werte der Aufklärung, auf denen unsere freiheitliche Gesellschaft beruht. Wenn unsere Politiker diese Werte jetzt leichfertig aufgeben, haben Osama Bin Laden und seine Gesinnungsgenossen genau das erreicht, was sie wollen.

Besser gesagt, als ich das könnte. Ob totalitäres Taliban-Regime oder totalitärer Überwachungsstaat: Wer die freie Gesellschaft erhalten und stärken will, der muss gegen das Eine wie gegen das Andere kämpfen.

Die Antwort auf den 11. September 2001 kann nur heißen: 12. September 2009. Berlin, Potsdamer Platz, 15:00 Uhr.

Ahmadinejad ist schuld

2009-08-24

Warum ich Pirat bin – die Frage hat man mir in den letzten Wochen etliche Male gestellt. Mal im Gespräch mit Freunden („Was hat dich denn gebissen, dass du plötzlich so politisch bist?“), mal mit einem richtig dicken, fellbehängten ARD-Mikro (und jetzt ohne Vorbereitung und Schminke und ganz spontan in zehn Sekunden was Fernsehgerechtes formulieren, möglichst ohne „Äh“s und mit einer festen, engagierten, aber auf jeden Fall sympathischen Stimme – eine gute Übung …)

Antworten darauf gibt’s eine ganze Menge. Dass unsere Regierung Schritt für Schritt Freiheitsrechte beschneidet und Überwachungsmechanismen installiert, auf die ein Mielke stolz gewesen wäre. Dass Unternehmen dem schlechten Beispiel folgen und ihre Mitarbeiter, Kunden, Besucher auf eine Art bespitzeln und durchleuchten, die „widerwärtig“ zu nennen noch untertrieben wäre. Dass eine Ministerin nur „Kinderporno“ schreien muss, damit Grundrechte, die über Jahrzehnte unantastbar waren, einfach abgeschafft werden, eine Zensur eingeführt wird und das Parlament das Ganze mit überwältigender Mehrheit durchwinkt. Dass die vier Reiter der Infokalypse (Terror, Kinderporno, Drogenhändler, Raubkopierer) als Rechtfertigung noch jeder Gängelung und Bespitzelung herhalten müssen. Dass eine Gruppe im BKA, die nicht demokratisch kontrolliert wird, eine geheime Liste nicht genehmer Seiten erstellt, die ebenfalls nicht demokratisch kontrolliert wird – und wer in die Falle tappt, gegen den kann strafrechtlich ermittelt werden, mit Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Verlust von Arbeitsplatz, Wohnung, Beziehung. Dass die große Koalition, voran Innenminister Schäuble, ein Klima der Angst, Verdächtigung und Rechtsunsicherheit schürt, das die Menschen nicht nur daran hindert, ihre Meinung zu äußern („Lieber nichts sagen, wenn ich meinen Job behalten will“), sondern schon daran, sich überhaupt zu informieren („Lieber nicht klicken, es könnte ja ein Stopp-Schild lauern“).

Dass Politik, wie sie sich heute in Deutschland gebärdet, gar keine erkennbaren Ziele mehr hat oder auch nur breit diskutiert würde – sondern nur noch verwaltet (meist im Interesse der Großkonzerne) und dabei nicht bereit ist, Eigenverantwortung zu übernehmen, sondern sich auf „Befehlsnotstand“ aus Brüssel beruft (ja wer zum Teufel hat denn die ganzen Kommissare nach Brüssel geschickt?). Damit ich recht verstanden werde: Ich bin mit Herz und Hirn Europäer. Aber damit Europa akzeptiert wird, muss es demokratisch funktionieren – und das tut es im Moment einfach nicht. Dass laut über eine Halbierung der Hartz-IV-Sätze nachgedacht wird, gleichzeitig aber die Banken, die ja wohl hauptverantwortlich für die momentane Wirtschaftskrise sind, als Belohnung für Gier und Unfähigkeit über 500 Milliarden an Steuergeldern allein in Deutschland erhalten, und mit diesem Geld fröhlich weiter spekulieren, statt es in die produktive Wirtschaft weiterzuleiten – und die Verträge, die diesen Geldsegen festlegen, vor dem normalen Bürger geheim gehalten werden: Dass in Zukunft anders gewirtschaftet würde, ist unter diesen Bedingungen kaum zu befürchten.

Dass das Internet zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit geschaffen hat, alle an Kultur, Bildung und Information teilhaben zu lassen – aber Regierende und Content-Industrie alles tun, um diese digitalen Güter künstlich knapp zu halten und einen Großteil der Nutzer zu kriminalisieren. Dass die digitale Verteilung der Kultur aber einfach nicht mehr gestoppt werden kann, es sei denn um den Preis massiver Überwachung und Einschränkung jedes Bürgers (aber vielleicht ist ja gerade das gewollt, siehe oben).

Dass Demos wenig bewirken und Online-Petitionen (wie das gegen die Internet-Zensur) vom Parlament schlicht ignoriert werden, selbst wenn über 130.000 Bürger unterzeichnen. Dass es deshalb eine Partei wie die Piraten braucht, die die Spielregeln des parlamentarischen Systems nutzt, um dieses System zu verändern – oder besser gesagt, nicht so sehr zu verändern als mehr auf die doch sehr brauchbare grundgesetzliche Grundlage zurückzuführen.

Und dass es in einer noch recht kleinen Partei mit dafür sehr engagierten und überwiegend sehr kompetenten Leuten einfach mehr Spaß macht, politisch zu arbeiten, und mehr Erfolgserlebnisse verschafft, als wenn ich mich z. B. in einen grünen, linken oder sozialdemokratischen Ortsverein setzen würde (die anderen beiden kämen für mich eh nicht in Frage).

Das alles sind gute Gründe, Pirat zu werden. Aber den Anstoß hat mir ein anderer gegeben – nämlich der iranische Schon-wieder-Präsident, Antisemit, Holocaust-Leugner und Atombombenbastler Ahmadinejad – der ja u. a. ganz gern mal mit deutscher Überwachungstechnologie beliefert wird, sozusagen als Crash-Test-Dummy – bzw. die Vorgänge um seine „Wiederwahl“.

In diesen Wochen, als für kurze Zeit die Hoffnung aufkeimte auf einen demokratischen Umschwung im Iran, der weder von den Mullahs noch von der CIA gesteuert würde, sind mir nämlich drei Dinge klar geworden:

  • Was auch in Mitteleuropa möglich ist, wenn es den Herrschenden gelingt, Wahlen und demokratische Entscheidungen unüberprüfbar zu machen. Nicht dass ich Schäuble und Konsorten schon für ausgemachte Demokratiefeinde hielte: Aber welches Scheunentor sie aufmachen mit ihrer allumfassenden Kontrolle der Bürger und den damit einher gehenden Möglichkeiten der Manipulation, werden sie wohl erst begreifen, wenn es für uns alle zu spät ist. Die „Schere im Kopf“ hat dann genau die mundtot gemacht, deren Meinung wir dringend hören müssten.
  • Dass das Internet viel mehr ist als eine Spielwiese für technikverliebte Männer und exhibitionistische Zeitgenossen. Dass es das erste Medium ist, wo weder wirtschaftliche noch politische Macht entscheidend ist (obwohl es hilft), sondern vor allem Inhalt und Glaubwürdigkeit. Und dass genau diese Offenheit geschützt werden muss.
  • Wie wichtig es sein kann, anonym seine Meinung äußern zu können, besonders in Zeiten der Unterdrückung. Wer damit rechnen muss, dass nachts die Basiji die Tür eintreten, möchte vielleicht lieber seinen Namen nicht nennen. Und wer, wie hierzulande, damit rechnen muss, dass all seine Kontakte, Bewegungsprofile, Krankheiten, Kontenbewegungen, angeklickten Websites etc. gespeichert werden, lieber auch nicht – allein schon, um die Menschen zu schützen, die ihm lieb sind.

Also: Danke, Mahmud, alter Folterfreund. Du hast meinen Entschluss beschleunigt. Vielleicht gibt ja es einmal eine Gelegenheit, uns zu revanchieren. Grün ist gar nicht so weit weg von orange. Und das mag schneller gehen, als du denkst.