This update includes next malware

2009-10-09

Ich google so vor mich hin und finde dies auf dem FTP-Server der russischen Staatlichen Universität Ryazan „S.A. Esenin“:

This update includes next malware:

Viruses:
Backdoor.Win32.Clampi.c, Backdoor.Win32.Clampi.e,
Exploit.MSWord.Agent.ai, Exploit.Win32.Pidief.cdg,
P2P-Worm.Win32.Palevo.ann, P2P-Worm.Win32.Palevo.jaz

… und noch rund 50 weitere Tierchen.

Das nenne ich mal gut dokumentiert.

RyazanRyazan

Dem lieben Gott sein Personal

2009-09-12

Der liebe Gott [1], so hat man mir als Kind erzählt, sieht alles. Dazu braucht er weder Video-Überwachung noch Bundes-Trojaner. Seinem Personal dagegen scheint die Privatsphäre wichtiger zu sein. Meint jedenfalls Ralf Bendrath auf netzpolitik.org:

Wie wir mittlerweile seit drei Jahren wissen, ist Petrus Datenschützer. Oder wie Markus auch immer sagt: Irgendein Hacker hat da ein Script gebaut, das bei unseren Demos die Regenwolken vertreibt.

Das Wetter

Kurz nachgeprüft auf wetter.com: Zur Freiheit-statt-Angst-Demo heute (Sa. 2009-09-12 um 15:00 Uhr, ab Potsdamer Platz) wird es zwar wolkig und um 19 °C warm sein, dafür liegt das Regenrisiko gerade mal um die 20 %.

Dieses Risiko nimmt man doch gern auf sich.

Zumal … hatte ich mal geschrieben, „dass Demos wenig bewirken“? Freilich. Meistens. Es gibt allerdings auch Demonstrationen, die Zeichen setzen. Wie die am 22. Oktober 1983 im Bonner Hofgarten: Zwischen 250.000 und 500.000 Menschen demonstrierten damals gegen den NATO-Doppelbeschluss, deutschlandweit über eine Million. Zwar verhinderte sie weder den NATO-Doppelbeschluss noch das erneute atomare Wettrüsten der 80er Jahre, aber sie etablierte die Friedensbewegung endgültig als politische Kraft in Deutschland. Vermutlich wäre ohne sie Rot-Grün niemals zu Stande gekommen, jedenfalls nicht schon 1998. (Dass ausgerechnet Rot-Grün dann den ersten Militäreinsatz bundesdeutscher Truppen beschloss, beweist wieder, welch kruden Humor der Weltgeist öfters mal zeigt.)

Kritische Masse

Eine halbe Million Teilnehmer wird die Freiheit-statt-Angst-Demonstration wahrscheinlich nicht versammeln. 100.000 ist realistischer. Das wäre, nur auf die Berliner Gesamtbevölkerung gerechnet, nicht einmal besonders viel: Jeder 30. etwa. Aber diese 100.000 bilden bereits eine kritische Masse, die sich von den Medien jetzt nicht mehr ignorieren lässt (wie noch Ende 2007 bei den Aktionen gegen die Vorratsdatenspeicherung). Es wäre nicht der Startschuss für eine lang überfällige Bürgerrechtsbewegung – die gibt es bereits, seit Jahren, als mehr oder weniger lockerer Verbund verschiedener Organisationen im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, als Partei in den Piraten. Aber es wäre – es wird – der Moment, in dem diese Bewegung für alle sichtbar wird, in dem sie zeigt: Wir sind zu viele, um uns noch lächerlich zu machen, kleinreden, kriminalisieren zu lassen. Man kommt an uns nicht mehr vorbei. Die Themen, die Positionen, für die wir stehen, sind zu wichtig geworden, als dass sich die etablierten Mächte noch mit Worthülsen daran vorbei mogeln könnten.

Manchen, bei aller fraglichen Kompetenz in der Sache, dämmert das bereits. Ministerin Zypries zum Beispiel, die sich ein ganzes Interview lang in der taz fast ausschließlich mit der Piratenpartei beschäftigt. Dass sie kein gutes Haar an der politischen Konkurrenz lässt – geschenkt, es ist Wahlkampf. Dass sie freilich offenbar auch nicht einmal in das Programm der Piraten geschaut hat – könnte es daran liegen, dass sie dazu einen Browser bedienen müsste?

[1] Welche Geschmacksrichtung man für seinen Gott bevorzugt, überlasse ich als bekennender Agnostiker natürlich jedem (jeder) selbst. Die Kirche des fliegenden Spaghettimonsters zeichnet sich gegenüber allen anderen Glaubensgemeinschaften der Religionsgeschichte freilich dadurch aus, dass sie als einzige eine Lösung für das drängende Problem der Erderwärmung anbietet. Welche? Das ist nicht schwer zu … Pi raten.


Die Antwort auf den 11. September

2009-09-11

Wir saßen zusammen im Konferenzraum, alle Entwickler und Berater der Software-Firma, in der ich damals arbeitete, und legten den Rahmen fest für die neue Version unseres Produkts, das nicht alles anders, aber vieles besser machen sollte. Während einer kurzen Pause ging ich rüber ins Büro zu einer guten Freundin, die damals im gleichen Unternehmen arbeitete. Sie schaute auf den Bildschirm und sagte mir, in New York sei ein Flugzeug in eines der Hochhäuser geflogen. Ich dachte zunächst an einen verwirrten oder selbstmörderischen Sportflieger.

Dann sah ich, was passiert war.

Dann war das Internet weg.

Und dann schraubte sich diese Zeile von REM in meinen Kopf:

This is the end of the world as we know it.

Wir arbeiteten weiter, trotzdem. Aber die Zeile blieb stehen, noch tagelang, wie eine Neonreklame, in die man zu lange geschaut hat, wenn man dann die Augen schließt.

Dann kamen die Bilder, abends in den Nachrichten, von den Menschen, die sich in Panik aus den obersten Stockwerken gestürzt hatten und Hunderte Meter tiefer auf dem Asphalt aufschlugen, wie nasse Säcke. Manhattan, nachdem die Türme zusammen gebrochen waren: Es sah aus wie nach einem Atomschlag. Und immer wieder die Videos von den beiden 767, wie sie sich in die Türme bohrten und dann explodierten.

Dann die Angst vor einem Weltkrieg. Die Angst vor weiteren Anschlägen – in jeder großen Stadt, weltweit; ich sah die Menschen in den Großstädten nur noch als „weiche Ziele“. Die „uneingeschränkte Solidarität“ Schröders. Die permanenten Durchsagen, auf herumstehende Gepäckstücke zu achten. Stundenlange Schlangen vor den Check-ins am Flughafen.

Und langsam wurde all das zur Normalität.

Acht Jahre her heute. Ich bin sicher, die meisten erinnern sich noch genau daran, was sie am 11. September 2001 getan, gedacht, gefühlt haben. Es gibt ein Wiki, das unter anderem Erlebnisberichte sammelt – auch von Menschen (wie mir), die weit weg waren vom Geschehen.

Wie hat sich für uns die Welt verändert? Statt selbst einen langen Text zu schreiben, empfehle ich den Artikel „Freiheit statt Terrorismus“ im Blog „Politicool“. Aaron Koenig, Bundesvorstand der Piraten, schreibt dort:

[D]iese Anschläge werden von Regierungen in den USA und Europa als Vorwand missbraucht, um die Freiheitsrechte der Bürger immer weiter einzuschränken. […]

Politiker, die unsere Freiheitsrechte für eine angebliche Sicherheit opfern, mögen lautere Absichten haben – doch tatsächlich spielen sie den Terroristen in die Hände. Die Täter des 11. Septembers hassen die Freiheit und die Demokratie. Sie hassen die Werte der Aufklärung, auf denen unsere freiheitliche Gesellschaft beruht. Wenn unsere Politiker diese Werte jetzt leichfertig aufgeben, haben Osama Bin Laden und seine Gesinnungsgenossen genau das erreicht, was sie wollen.

Besser gesagt, als ich das könnte. Ob totalitäres Taliban-Regime oder totalitärer Überwachungsstaat: Wer die freie Gesellschaft erhalten und stärken will, der muss gegen das Eine wie gegen das Andere kämpfen.

Die Antwort auf den 11. September 2001 kann nur heißen: 12. September 2009. Berlin, Potsdamer Platz, 15:00 Uhr.


Robustes Mandat

2009-09-05

Einmal angenommen, Kaufhausdiebe stehlen einen ganzen Sack Handys aus einem Elektronikmarkt. Die Polizei folgt ihnen, hält sie aber nicht auf, bis sie ihr Ziel erreicht haben: eine Wohnung in einem dicht bebauten Häuserblock. Jetzt fordert die Polizei militärische Unterstützung an und gibt die Anweisung, den Häuserblock zu bombardieren. Genau das geschieht. Von den 500 Menschen, die sich zu der Zeit im Block aufhalten, überleben wie durch ein Wunder etwa 400, zum Teil aber mit schweren Verbrennungen und für ihr Leben verstümmelt. 90 Menschen sind beim Angriff gestorben. Höchstens 40 von ihnen hatten mit den Dieben zu tun.

Unvorstellbar? Deutsche Polizei und deutsches Militär würde so etwas nie tun?

Vermutlich nicht in Deutschland. In Afghanistan herrschen andere Sitten.

Was geschah

Aus den bisherigen Nachrichten (Spiegel Online, Stuttgarter Zeitung, AP, Zeit Online, Frankfurter Rundschau, Süddeutsche) ergibt sich momentan dieses Bild: Taliban klauen um 01:50 Uhr nachts zwei Tanklaster, die für die deutschen Truppen dort bestimmt sind. Die Bundeswehr verfolgt die Laster mit einer Drohne und entdeckt sie auf einer Sandbank im Fluss Kundus, wo Benzin bzw. Kerosin an die örtliche Bevölkerung verteilt wird. Oder aber, die festsitzenden Tankzüge haben Sprit abgelassen, um wieder manövrierfähig zu werden, und die Menschen eines nahen Dorfs strömen herbei, um etwas davon abzubekommen.

Jetzt befiehlt die Bundeswehr einen Luftangriff. Der erfolgt um 02:30 und ist – im militärischen Sinn – überaus erfolgreich: Die beiden Tanklaster explodieren, viele Menschen verbrennen, sterben.

Soweit sind sich die Quellen weitgehend einig. Der Streit beginnt, wo es um die Opfer geht.

Zivile Opfer

Bundeswehr und Verteidigungsministerium beharren darauf, dass alle fast alle Opfer (die Rede ist von etwa 50) „Aufständische“ gewesen seien. (Und die genießen ja, als nicht-militärische Kombattanten, weder den Schutz der Menschenrechte noch den der Genfer Konvention – so macht sich die deutsche Führung implizit die Guantánamo-Doktrin zu eigen.) Das will nicht einmal die NATO gelten lassen: Sie hat eine Untersuchung eingeleitet. Tatsächlich ist schwer zu glauben, dass Dutzende von Taliban an einer leicht zu identifizierenden Stelle sich um zwei Tanklaster scharen und freiwillig Zielscheibe spielen.

Die u. a. in Deutschland und von Deutschen aufgebaute afghanische Polizei spricht dagegen von 40 zivilen Opfern. Hamid Karsai (ebenfalls nicht gerade als Taliban-Freund bekannt) und der Gouverneur der Provinz nennen 90 Tote. Die BBC berichtet von „vielen Dorfbewohnern“ unter den Toten. Laut afghanischem Gesundheitsministerium waren zur Zeit des Bombardements 200 – 250 Dorfbewohner in der Nähe der Tanklaster.

Die Taliban schließlich behaupten, der Angriff hätte überhaupt keinen ihrer Kämpfer getroffen. Alle 150 Opfer seien nach ihrer Darstellung Zivilisten gewesen.

Bekanntlich ist im Krieg die Wahrheit das erste Opfer, noch vor den Menschen. Wenn wir also einmal die beiden Kriegsparteien außen vor lassen – Deutschland und die Taliban – scheinen die Angaben der afghanischen Regierung am glaubwürdigsten zu sein: Etwa 90 Tote, mindestens die Hälfte davon Zivilisten; 200 – 250 Menschen am Ort des Bombardements, eine unbekannte Anzahl Verbrannter und Verstümmelter.

Kein Bedauern

Wer Kriegsberichterstattung verfolgt, weiß, dass normalerweise schon bei weitaus weniger Opfern unter der Zivilbevölkerung das große Lamento angeworfen wird: Da wird bedauert und auf die Unübersichtlichkeit der Lage verwiesen; behauptet, eigentlich sei die Gegenseite schuld, weil sie Zivilisten als Schutzschilde halte; gerne auch mal die Überreaktion Einzelner als Grund genannt, die ja permanent unter einem unmenschlichen Druck stünden (das glaube ich gerne, aber unter welchem Druck steht dann erst die nicht militärisch ausgebildete Zivilbevölkerung, für die jede falsche Bewegung das Todesurteil bedeuten kann?). Keine militärische oder politische Führung möchte den Verdacht aufkommen lassen, man bombardiere und terrorisiere die Bevölkerung oder sei gar auf Genozid aus. Im Gegenteil, man sei ja in Wirklichkeit Verbündeter des Volkes, dessen Land man leider anzugreifen gezwungen sei.

Nicht so in diesem Fall. Schon bald nach dem Massaker mindestens 200 Menschen übernimmt die Bundeswehr die Verantwortung: Nicht unbedingt stolz, aber lakonisch und soldatisch knapp. Als im Lauf des Freitags Kritik aufkommt, bezieht das Verteidigungsministerium Angriffsposition: Der Sprecher des Ministeriums belehrt die Journaille im „warmen Sessel in Berlin“, es sei völlig unmöglich, dass mitten in der Nacht größere Menschenmengen zu einem havarierten Tanklastzug kämen. (Vermutlich muss man sich dazu die schnarrende Stimme eines preußischen Kavallerie-Leutnants vorstellen.)

Fakt allerdings: Es ist Ramadan. Tags wird gefastet, nachts gegessen. Und in Nord-Afghanistan, so schwer wir uns das vorstellen können, ist Sprit eine Kostbarkeit.

NATO- und EU-Spitze gehen vorsichtig auf Distanz, auch die finnische und die britische Regierung sehen die deutsche Militäraktion kritisch. Die deutsche Führung nicht: Verteidigungsminister Jung redet weiter von einem „robusten Stabilisierungseinsatz“. Auch der Offizier, der für die Luftangriffe verantwortlich ist, sei keinesfalls ein einzelgängerischer Rambo, sondern ein „ausgesprochen besonnene[r] Offizier, der alles andere als ein Hasardeur ist“, so das Ministerium.

Also: Kein Unfall, keine Fehlentscheidung, kein Durchdrehen, kein tragischer Irrtum, kein Kollateralschaden, kein Bedauern. Die Bundeswehr lässt mindestens 50 Zivilisten umbringen, über 100 verbrennen, und die deutsche Regierung sagt: Alles nach Plan. Also: Absicht?

Man will es nicht glauben müssen, aber wie die Regierung das Massaker rechtfertigt, lässt kaum eine andere Auslegung zu. (Über die Alternative – dass nämlich die militärische die politische Führung so sehr im Griff hat, dass Berlin jedes Abenteuer der Bundeswehr abnicken muss – will ich erst gar nicht nachdenken. Sie scheint mir auch nicht sehr wahrscheinlich.)

Ich bin kein Jurist. Aber soweit ich es verstehe, zählt die Bombardierung der Zivilbevölkerung zu den Kriegsverbrechen – insbesondere dann, wenn sie nicht in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten militärischen Ziel steht („Kollateralschaden“). Und von „Kollateralschaden“ ist ja in den Erklärungen der deutschen Regierung explizit nicht die Rede.

Verantwortung

Wenn aber die Bombardierung der Zivilbevölkerung Teil der Strategie der deutschen Führung ist (oder sie zumindest billigend in Kauf genommen wird), dann war das Massaker in der Nacht von Donnerstag auf Freitag nicht nur ein Kriegsverbrechen: Es ist ein Kriegsverbrechen, für das die aktuelle deutsche Regierung die Verantwortung zu übernehmen hat.

Zunächst einmal Verteidigungsminister Jung, als Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte. Dann auch Bundeskanzlerin Merkel, die ja laut Grundgesetz Art. 115 b Oberbefehlshaberin der Streitkräfte im Verteidigungsfall ist. Der Verteidigungsfall wurde bereits am 2004-03-11 vom damaligen Verteidigungsminister Struck erklärt; auch wer das nicht gelten lassen will (denn eigentlich hätte das Parlament ja zustimmen müssen, das hat es implizit freilich durch die Genehmigung und Verlängerung der Afghanistan-Einsätze wiederholt getan), dürfte spätestens seit gestern keine Zweifel mehr daran haben, dass Deutschland sich im Krieg befindet.

Innere Sicherheit

Innenminister Schäuble spricht seit Monaten von terroristischen Anschlägen in Deutschland vor der Bundestagswahl. Ironischerweise könnte er Recht behalten. Jetzt. Deutschland hat einen asymmetrischen Gegner herausgefordert. Womöglich sogar mit Absicht.

Ein blutiger Terror-Anschlag kurz vor der Wahl würde Schwarz-Gelb zu Traumquoten verhelfen und unser Land binnen Monaten so verändern, dass wir es nicht wieder erkennen würden.

Der Krieg in Afghanistan wäre nicht der erste Krieg, dessen wahre Ziele im Inneren liegen.


Durchschaut

2009-09-03

Es war eines jener Gespräche, die vom Alltäglichen langsam unmerklich ins normalerweise Verborgene, Uneingestande, Innerste wandern. In denen man endlich aufhören will, sich selbst etwas vorzumachen, und man den Gesprächspartner halb traumwandlerisch, halb verlegen mit in die Tiefe führt. Man würde den Weg ja auch alleine finden: Allein, einer muss das Seil sichern.

Und dann sagt sie plötzlich: „Scheiße. Jetzt hab ich meinen Therapeuten durchschaut.“


Offener Brief zur Vorratsdatenspeicherung (2007)

2009-08-29

In meinen Mail-Archiven gefunden: Ein Offener Brief an alle Bundestagsabgeordneten, den ich am 2007-11-07 (zwei Tage vor der Abstimmung über die Vorratsdatenspeicherung) über http://briefe.gegen.daten.speicherung.eu/ verschickt habe. Geholfen hat es nichts. Aktuell ist der Text heute wie vor zwei Jahren — er müsste freilich noch um eine Reihe zusätzlicher Überwachungs- und Zensurmaßnahmen ergänzt werden.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ab dem 09. November müssen wir Bürger(innen) und Einwohner(innen) der Bundesrepublik Deutschland aufpassen, was wir sagen. Wir müssen aufpassen, was wir lesen. Wir müssen aufpassen, mit wem wir reden.

18 Jahre nach dem Ende des DDR-Regimes ist Deutschland wieder auf dem besten Weg, zum Überwachungsstaat zu werden. Voraussichtlich am 09. November – passenderweise dem Jahrestag des Mauerfalls – entscheiden Sie über das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Wenn es beschlossen wird, heißt das: Mit wem wir telefonieren, wie lange und von wo, wann und mit wem wir in eMail-Kontakt stehen oder mit wem wir chatten, welche Mailing-Listen wir beziehen, wann und wie lange wir ins Internet gehen – all diese Informationen müssen die Provider künftig über 6 Monate lückenlos zusammen mit unseren persönlichen Daten speichern und diese Informationen den Behörden auf Verlangen weitergeben. Die Kosten dafür tragen wir selbst, über erheblich höhere Gebühren für Telefon- und Internet-Nutzung, die durch den immensen technischen Aufwand vorhersehbar entstehen.

Angeblich, um uns vor Terroristen und unsere Kinder vor Triebtätern zu schützen. Das ist, mit Verlaub, lächerlich: Wer die kriminelle Energie aufbringt, eine U-Bahn in die Luft zu jagen, wird kaum davor zurückschrecken, einen fremden Rechner zu hacken oder gefälschte Konten im Internet-Café zu benutzen. Drogenhändler arbeiten mit gestohlenen Handys und Wegwerf-Prepaid-Karten, die sie unter falschem Namen anmelden, wenn überhaupt. Und Kinderpornoringe verschieben ihre Ware vermutlich über täglich wechselnde gehackte Server, oft von ahnungslosen Unternehmen oder Universitäten.

Die flächendeckende Telefon- und Online-Überwachung trifft nicht Bombenleger und Schwerkriminelle, sondern die Interessierten und Engagierten, die Ehrlichen und Aufrichtigen, und schließlich auch die technisch Unbedarften, die keine Möglichkeit mehr haben, ihr Privatleben vor den allgegenwärtigen elektronischen Suchscheinwerfern zu schützen.

Angeblich dürfen Kommunikationsdaten nur auf richterlichen Beschluss abgefragt werden. Auch das ist schwer zu glauben. Bei der Einführung der elektronischen Maut wurde versichert, dass die Technik nur zur Abrechnung der Autobahngebühren benutzt würde und nicht, um Bewegungsprofile der Autofahrer zu erstellen. Dieses Versprechen wurde nur kurze Zeit später bereits gebrochen.

Als das Bankgeheimnis in Deutschland eingeschränkt wurde, hieß es, die Maßnahme richte sich gegen Geldwäsche und organisierte Schwerkriminalität. Inzwischen überwachen Jobcenter die Kontenbewegungen von ALG II-Empfängern. Wer von Sozialhilfe leben muss, den behandelt der Staat also wie einen Schwerkriminellen. Wer arm ist, macht sich verdächtig.

(http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Hartz-IV-Kontenabfrage;art122,2342474)

Wer wissenschaftlich arbeitet, macht sich verdächtig. In diesem Land genügt es inzwischen, soziologische Fachbegriffe wie „Gentrifizierung“ zu gebrauchen und einen Bibliotheksausweis zu besitzen, um monatelang mitsamt Partner und Kindern unverhohlen überwacht und schließlich als Terrorist ins Gefängnis gesteckt zu werden.

(http://www.zeit.de/online/2007/44/Militante-Gruppe-Ueberwachung?page=all)

Massive Polizeirazzien im Vorfeld des G-8-Gipfels erwecken auch bei Medienbeobachtern aus der politischen Mitte den Eindruck, bei den Repressalien ginge es weniger um Gefahrenabwehr als um Einschüchterung und Kriminalisierung von politischem Protest.

(http://www.zeit.de/online/2007/20/g8-durchsuchungen?page=all)

Und Ministerpräsident Beckstein fordert medienwirksam, dass Terrorverdächtige „sich nur in einer kleinen, gut zu überwachenden Kommune aufhalten dürfen, es sollte Internet- und Handyverbot gelten“.

(http://www.welt.de/politik/article1160540/Beckstein_fordert_Handyverbot_fuer%20_Topgefaehrder.html)

Wer legt fest, wer als Terrorverdächtiger zu gelten hat? Ist es bloße Hysterie, wenn einem dazu Begriffe wie „Guantánamo“ einfallen? Für solche Einrichtungen, wie sie Herr Beckstein vorschweben, gab es vor rund 70 Jahren in Deutschland ein griffiges Kürzel. Es fing mit K an und hörte mit Z auf.

Diese Beispiele machen vielleicht verständlich, warum die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes nicht mehr darauf vertrauen können, dass die geplanten Überwachungsmaßnahmen tatsächlich und ausschließlich dem Schutz vor Terrorismus und anderen schweren Straftaten dienen. Sie mögen als Abgeordnete(r) in der Debatte und der Abstimmung die ehrlichsten und hehrsten Absichten hegen – ist das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erst einmal erlassen und werden Kommunikationsdaten massiv gehortet, ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Zudem ermöglicht das Gesetz zur in Kombination mit der „Cybercrime-Konvention“ (vgl. Drucksache 666/07 des Deutschen Bundesrats, im Internet unter http://www.bundesrat.de/cln_051/nn_8336/SharedDocs/Drucksachen/2007/0601-700/666-07,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/666-07.pdf abzurufen), dass „ausländische Staaten […] ohne rechtsstaatliche Sicherungen, also ohne vorherige richterliche Anordnung […] auf sensibelste Daten über unser Privatleben und unsere sozialen Beziehungen zugreifen“ können, wie der Jurist Patrick Breyer erklärt.

(http://www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/154/55/lang,de/)

In diesem Fall sind die in Deutschland gültigen Datenschutzbestimmungen obsolet. Ausländische Regierungen, Behörden und Geheimdienste werden sich von den Bedenken eines deutschen Datenschutzbeauftragten kaum beeindrucken lassen. Welche verheerenden Auswirkungen das auf die Sicherheit deutscher Bürger im Ausland, auf die Reisefreiheit und auf die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland haben kann, ist leicht vorstellbar.

Nun wird gelegentlich argumentiert, die Vorratsdatenspeicherung sei keine Totalüberwachung der elektronischen und Telefonkommunikation, da ja lediglich Kontakt- und Verbindungsdaten, aber nicht die Inhalte der Kommunikation gespeichert würden. Dies ist aber aus mehreren Gründen nur die halbe Wahrheit:

(1) Bereits die Überwachung aller sozialer Kontakte aller Einwohner des Landes ist ein massiver Eingriff in die Intimsphäre und bietet ein hohes Missbrauchspotenzial.

(2) Es ist technisch leicht und ohne weiteres möglich, die Überwachungsdaten von Clients (Internet-Nutzern) und Servern (Seitenanbietern) zu verknüpfen und so z. B. zu erfahren, welche Personen im Internet zu welchem Zeitpunkt nach welchen Inhalten recherchiert haben.

(3) In vielen Bundesländern ermöglichen die Gesetze zur präventiv-polizeilichen Telekommunikationsüberwachung bereits die vollständige Speicherung und Kontrolle der Inhalte telefonischer und elektronischer Kommunikation ohne konkreten Tatverdacht. Es genügt dabei, „wenn jemand unwissentlich in den Umkreis eines Terrorverdächtigen kommt, sei es als Arbeitskollege oder Sportkamerad, Nachbar oder WG-Mitbewohner“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4ventiv-polizeiliche_Telekommunikations%C3%BCberwachung). Da mit der Vorratsdatenspeicherung jeder soziale Kontakt für die Behörden überprüfbar ist, müssen wir damit rechen, dass Telefon- und eMail-Überwachung massiv ausgeweitet werden. Bereits jetzt ist Deutschland Überwachungsweltmeister. Künftig reicht es im Extremfall, wenn ein Bürger den gleichen Arzt anruft oder das gleiche Diskussionsforum besucht wie ein Verdächtiger, damit ohne sein Wissen jede seiner Äußerungen protokolliert und gespeichert wird.

(4) Jede Überwachungsmaßnahme weckt Begehrlichkeiten nach mehr. Sie wissen selbst am besten, wie Politik funktioniert – Stichwort „Salamitaktik“. Wir können jetzt schon Wetten darauf abschließen, wann Überwachungsbehörden und Sicherheitsexperten die vollständige Speicherung aller Inhalte fordern, mit dem Argument „Unsere Maßnahmen sind wirkungslos, wenn wir zwar wissen, wann wer mit wem gesprochen hat, aber nicht, was dabei gesagt wurde“.

Dabei sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, private Kommunikation sei zu uninteressant oder zu umfangreich, um lückenlos überwacht zu werden. Dazu braucht es keine Zigtausende von Polizisten und Geheimdienst-Angestellten. Überwachungssysteme wie Echelon, Suchmaschinen wie Google oder die Spam-Filter der großen Provider zeigen, welche Informationsmengen vollautomatisch bewältigt werden können, wenn die nötige Rechenpower zur Verfügung steht – die ja die Überwachten selbst bezahlen sollen. Die Forschungsgelder, die in das „semantische Web“ gesteckt werden, werden sich schließlich auch auszahlen – mit dem Ziel, bestimmte Inhalte, Themen, Meinungen zu finden, ohne dass dafür nach Schlüsselwörtern gesucht werden muss. Das Ergebnis ist eine Überwachungsdatenbank Orwellschen Ausmaßes, in dem alle sozialen Kontakte, Bewegungsprofile, Tagesabläufe, Meinungen und Interessen aller Bürger gespeichert sind.

Bereits jetzt wirkt die „Schere im Kopf“. Wir wissen, dass viele Internet-Nutzer zögern, einen bestimmten Suchbegriff einzugeben, eine bestimmte Seite anzusurfen oder ihre Meinung in einem Forum zu schreiben. Forenbetreiber beschneiden die Meinungsfreiheit der Teilnehmer aus Angst vor Unterlassungs- und Schadensersatzklagen, die sie in den Ruin treiben können – eine Angst, die seit den Urteilen zur Forenhaftung nicht mehr ganz unbegründet ist.

Wer wird künftig noch Kontakt halten wollen zu entlassenen Strafgefangenen, zu kritischen Journalisten oder engagierten Anwälten? Wer wird noch unbesorgt eine Sozial- oder Suchtberatungsstelle anrufen können, den Kinder- oder Frauennotruf, eine Bürgerinitiative, den Notarzt oder auch nur die Telefonseelsorge, wenn er weiß, dass diese „sozialen Brennpunkte“ sicherlich überwacht werden und bereits die Kontaktaufnahme einen Anfangsverdacht begründet? Wie sollen soziale Einrichtungen künftig noch vertraulich arbeiten können, wenn jede Überwachungsbehörde jederzeit eine komplette „Kundenliste“ abrufen kann?

Wer schützt uns davor, dass Verbrecher unsere Identität stehlen und unter unserem Namen schwere Straftaten begehen? Wie leicht das mit dem neuen elektronischen Pass möglich ist, erläutert Thilo Weichert, der Leiter des Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein, auf http://www.heise.de/newsticker/meldung/98237. Künftig stünden wir dann nicht nur unter falschem Verdacht, sondern unsere Familien, Freunde, Arbeitskollegen und Geschäftspartner würden sämtlich zum Ziel peinlichster, intimster Ermittlungen – und selbst wenn sich der Verdacht schließlich aufklärt, ist unser soziales und Berufsleben vermutlich auf Dauer zerstört.

Wer kann verhindern, dass wir künftig Selbstauskunft über unser Bewegungs- und Sozialverhalten geben müssen, wenn wir uns um eine Arbeit oder eine Wohnung bewerben, ein Bankkonto eröffnen oder eine Versicherung abschließen wollen? Der Arbeitgeber möchte wissen, mit welchen Menschen wir zu tun haben, ob wir Kontakt zur Konkurrenz haben und wo wir unsere Freizeit verbringen. Der Vermieter interessiert sich für unseren Tagesablauf und unser soziales Umfeld – deuten unsere Telefonate auf einen umfangreichen Freundeskreis hin, auf promiskes Verhalten oder gar auf Homosexualität? Die Bank will erfahren, ob wir sozial Schwache in unserem Bekanntenkreis haben, und für die Versicherung ist interessant, ob wir lange Telefongespräche führen (Hinweis auf persönliche Probleme), ob wir häufig beim Arzt sind oder gar bei Beratungsstellen angerufen haben. Natürlich können wir uns weigern – aber dann bleiben wir arbeits- und wohnungslos. Wer immer wirtschaftlichen Druck auf uns ausübt, kann ungehindert in unserem Privatleben schnüffeln. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, wäre, das Recht auf Selbstauskunft abzuschaffen – mit dem Effekt, dass wir nicht einmal mehr erfahren dürfen, was alles über uns gespeichert ist.

Die Vorratsdatenspeicherung schafft ein Klima der sozialen Isolation, der Überwachung, des gegenseitigen Misstrauens, der Angst. Würde Erich Mielke noch leben, er müsste frohlocken – dass der „Klassenfeind“ seine Methoden der totalen Überwachung des Soziallebens übernimmt und mit modernsten technischen Mitteln noch verschärft, wäre ihm ein später und zynischer Triumph. Die Vorratsdatenspeicherung macht aus einem souveränen, politisch mündigen Volk ein Volk von potenziellen Straftätern, das unter Dauerverdacht steht, das jedes Gespräch, jede Freundschaft, jeden privaten oder geschäftlichen Kontakt vor den Augen misstrauischer Überwachungsbehörden rechtfertigen muss.

Daher bitte ich sie inständig: Stimmen Sie morgen, am 09. November 2007, gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Folgen Sie ihrem Gewissen, nicht der Parteiraison. Setzen Sie ihr Wissen und ihre rhetorischen Fähigkeiten in der Debatte dafür ein, für den Rechtsstaat und den Erhalt der Grundrechte zu werben. Lassen Sie sich von einem Klima der Hysterie und des Generalverdachts nicht dazu verleiten, ein Gesetz mitzutragen, das nur zu noch mehr Hysterie und Verdächtigungen führt. Das vorgebliche Argument, wir müssten unsere Freiheit verteidigen, darf nicht dazu führen, dass die Bürgerrechte so weit durchlöchert werden, bis es schließlich nichts mehr zu verteidigen gibt.

Ich wünsche Ihnen und der Demokratie alles Gute.


Ahmadinejad ist schuld

2009-08-24

Warum ich Pirat bin – die Frage hat man mir in den letzten Wochen etliche Male gestellt. Mal im Gespräch mit Freunden („Was hat dich denn gebissen, dass du plötzlich so politisch bist?“), mal mit einem richtig dicken, fellbehängten ARD-Mikro (und jetzt ohne Vorbereitung und Schminke und ganz spontan in zehn Sekunden was Fernsehgerechtes formulieren, möglichst ohne „Äh“s und mit einer festen, engagierten, aber auf jeden Fall sympathischen Stimme – eine gute Übung …)

Antworten darauf gibt’s eine ganze Menge. Dass unsere Regierung Schritt für Schritt Freiheitsrechte beschneidet und Überwachungsmechanismen installiert, auf die ein Mielke stolz gewesen wäre. Dass Unternehmen dem schlechten Beispiel folgen und ihre Mitarbeiter, Kunden, Besucher auf eine Art bespitzeln und durchleuchten, die „widerwärtig“ zu nennen noch untertrieben wäre. Dass eine Ministerin nur „Kinderporno“ schreien muss, damit Grundrechte, die über Jahrzehnte unantastbar waren, einfach abgeschafft werden, eine Zensur eingeführt wird und das Parlament das Ganze mit überwältigender Mehrheit durchwinkt. Dass die vier Reiter der Infokalypse (Terror, Kinderporno, Drogenhändler, Raubkopierer) als Rechtfertigung noch jeder Gängelung und Bespitzelung herhalten müssen. Dass eine Gruppe im BKA, die nicht demokratisch kontrolliert wird, eine geheime Liste nicht genehmer Seiten erstellt, die ebenfalls nicht demokratisch kontrolliert wird – und wer in die Falle tappt, gegen den kann strafrechtlich ermittelt werden, mit Hausdurchsuchung, Beschlagnahme, Verlust von Arbeitsplatz, Wohnung, Beziehung. Dass die große Koalition, voran Innenminister Schäuble, ein Klima der Angst, Verdächtigung und Rechtsunsicherheit schürt, das die Menschen nicht nur daran hindert, ihre Meinung zu äußern („Lieber nichts sagen, wenn ich meinen Job behalten will“), sondern schon daran, sich überhaupt zu informieren („Lieber nicht klicken, es könnte ja ein Stopp-Schild lauern“).

Dass Politik, wie sie sich heute in Deutschland gebärdet, gar keine erkennbaren Ziele mehr hat oder auch nur breit diskutiert würde – sondern nur noch verwaltet (meist im Interesse der Großkonzerne) und dabei nicht bereit ist, Eigenverantwortung zu übernehmen, sondern sich auf „Befehlsnotstand“ aus Brüssel beruft (ja wer zum Teufel hat denn die ganzen Kommissare nach Brüssel geschickt?). Damit ich recht verstanden werde: Ich bin mit Herz und Hirn Europäer. Aber damit Europa akzeptiert wird, muss es demokratisch funktionieren – und das tut es im Moment einfach nicht. Dass laut über eine Halbierung der Hartz-IV-Sätze nachgedacht wird, gleichzeitig aber die Banken, die ja wohl hauptverantwortlich für die momentane Wirtschaftskrise sind, als Belohnung für Gier und Unfähigkeit über 500 Milliarden an Steuergeldern allein in Deutschland erhalten, und mit diesem Geld fröhlich weiter spekulieren, statt es in die produktive Wirtschaft weiterzuleiten – und die Verträge, die diesen Geldsegen festlegen, vor dem normalen Bürger geheim gehalten werden: Dass in Zukunft anders gewirtschaftet würde, ist unter diesen Bedingungen kaum zu befürchten.

Dass das Internet zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit geschaffen hat, alle an Kultur, Bildung und Information teilhaben zu lassen – aber Regierende und Content-Industrie alles tun, um diese digitalen Güter künstlich knapp zu halten und einen Großteil der Nutzer zu kriminalisieren. Dass die digitale Verteilung der Kultur aber einfach nicht mehr gestoppt werden kann, es sei denn um den Preis massiver Überwachung und Einschränkung jedes Bürgers (aber vielleicht ist ja gerade das gewollt, siehe oben).

Dass Demos wenig bewirken und Online-Petitionen (wie das gegen die Internet-Zensur) vom Parlament schlicht ignoriert werden, selbst wenn über 130.000 Bürger unterzeichnen. Dass es deshalb eine Partei wie die Piraten braucht, die die Spielregeln des parlamentarischen Systems nutzt, um dieses System zu verändern – oder besser gesagt, nicht so sehr zu verändern als mehr auf die doch sehr brauchbare grundgesetzliche Grundlage zurückzuführen.

Und dass es in einer noch recht kleinen Partei mit dafür sehr engagierten und überwiegend sehr kompetenten Leuten einfach mehr Spaß macht, politisch zu arbeiten, und mehr Erfolgserlebnisse verschafft, als wenn ich mich z. B. in einen grünen, linken oder sozialdemokratischen Ortsverein setzen würde (die anderen beiden kämen für mich eh nicht in Frage).

Das alles sind gute Gründe, Pirat zu werden. Aber den Anstoß hat mir ein anderer gegeben – nämlich der iranische Schon-wieder-Präsident, Antisemit, Holocaust-Leugner und Atombombenbastler Ahmadinejad – der ja u. a. ganz gern mal mit deutscher Überwachungstechnologie beliefert wird, sozusagen als Crash-Test-Dummy – bzw. die Vorgänge um seine „Wiederwahl“.

In diesen Wochen, als für kurze Zeit die Hoffnung aufkeimte auf einen demokratischen Umschwung im Iran, der weder von den Mullahs noch von der CIA gesteuert würde, sind mir nämlich drei Dinge klar geworden:

  • Was auch in Mitteleuropa möglich ist, wenn es den Herrschenden gelingt, Wahlen und demokratische Entscheidungen unüberprüfbar zu machen. Nicht dass ich Schäuble und Konsorten schon für ausgemachte Demokratiefeinde hielte: Aber welches Scheunentor sie aufmachen mit ihrer allumfassenden Kontrolle der Bürger und den damit einher gehenden Möglichkeiten der Manipulation, werden sie wohl erst begreifen, wenn es für uns alle zu spät ist. Die „Schere im Kopf“ hat dann genau die mundtot gemacht, deren Meinung wir dringend hören müssten.
  • Dass das Internet viel mehr ist als eine Spielwiese für technikverliebte Männer und exhibitionistische Zeitgenossen. Dass es das erste Medium ist, wo weder wirtschaftliche noch politische Macht entscheidend ist (obwohl es hilft), sondern vor allem Inhalt und Glaubwürdigkeit. Und dass genau diese Offenheit geschützt werden muss.
  • Wie wichtig es sein kann, anonym seine Meinung äußern zu können, besonders in Zeiten der Unterdrückung. Wer damit rechnen muss, dass nachts die Basiji die Tür eintreten, möchte vielleicht lieber seinen Namen nicht nennen. Und wer, wie hierzulande, damit rechnen muss, dass all seine Kontakte, Bewegungsprofile, Krankheiten, Kontenbewegungen, angeklickten Websites etc. gespeichert werden, lieber auch nicht – allein schon, um die Menschen zu schützen, die ihm lieb sind.

Also: Danke, Mahmud, alter Folterfreund. Du hast meinen Entschluss beschleunigt. Vielleicht gibt ja es einmal eine Gelegenheit, uns zu revanchieren. Grün ist gar nicht so weit weg von orange. Und das mag schneller gehen, als du denkst.